Digitaler Workshop „Die Neue Rechte und Corona“

„Richtig, die Neonazis, die sind ja auch noch da“ titelte der Spiegel am 29. April 2020.

In der öffentlichen Wahrnehmung ist die Neue Rechte in den Hintergrund gerückt, denn die Coronakrise hat die Welt fest im Griff und bestimmt auch den politischen Alltag. Doch nachdem in den letzten Wochen vor allem Wissenschaftler*innen und Ärzt*innen die öffentliche Wahrnehmung bestimmt haben, treten nun auch wieder die Akteur*innen der Neuen Rechte stärker nach vorn. So unklar vieles in dieser Pandemie ist, die Darstellung der Rechten steht bereits fest: Globalisierung, fehlende Grenzen sowie kulturelle Unterschiede sind schuld. Im Moment verhallen ihre Stimmen in den sozialen Echokammern des Internets (noch) ziemlich schnell. Doch mit jedem Tag, in dem die Krise ein Dauerzustand wird, bekommen sie mehr Reichweite.

Der Journalist und Autor Patrick Stegemann („Die rechte Mobilmachung: Wie radikale Netzaktivisten die Demokratie angreifen„) wird in dem digitalen Workshop erkunden, welche Strategien die Neue Rechte gerade fährt. Wie sie sich organisieren und was die aktive Zivilgesellschaft vermutlich in den nächsten Monaten zu erwarten hat… und natürlich wie eine gute Antwort aussehen kann.

Wenn du Lust hast, melde dich gerne an und komm dazu!

Datum: 12.05.2020 // 19 – 22 Uhr
Anmeldung (und weitere Informationen): https://adobe.ly/2y0u4qw
Zielgruppe: Multiplikator*innen der politischen Jugendbildung

Das Seminar wird auf Adobe Connect durchgeführt (Hinweise zum Datenschutz).

Es ist möglich über den Browser am digitalen Workshop teilzunehmen, es wird aber empfohlen das Adobe Connect Plugin zu installieren (Download: Windows, Mac).

Thematisch zu dem Thema passend gab es bei der Online-Demo von Fridays For Future am 24.04. auch einen 5-minütigen Gast-Beitrag des Moderators Michel Abdollahi zum Thema Rassismus vor, während und nach Corona. Schau gerne mal rein (Minute 1:03:00 – 1:08:15):

 

😱WTF? – FDP-Kandidat mit 5% der Wählerstimmen zum Thüringer Ministerpräsidenten gewählt😳

Bitte was??? Der Thüringer FDP-Kandidat Thomas Kemmerich ist vom Thüringer Landtag zum neuen Ministerpräsidenten gewählt worden. Dabei hatte die FDP bei der Landtagswahl gerade einmal 5% der Wählerstimmen erreicht. Das bedeutet, dass nur jeder 20. Wähler sein Kreuz bei der FDP gemacht hat. Hätten von den 1,1 Millionen Wähler*innen, die ihre Stimme abgegeben haben, auch nur !!! 5 !!! Menschen weniger die FDP gewählt, wäre die FDP nicht einmal in den Thüringer Landtag eingezogen und somit politisch in Thüringen nicht einmal existent gewesen. Die FDP ist damit mit 5 Sitzen die kleinste Fraktion im Thüringer Landtag. Aber wie zum Geier kann es sein, dass die FDP dann den Ministerpräsidenten stellt?🤔 Und warum sind die Empörung und das Aufsehen darum so groß?🤔 Das erklären wir dir in diesem Artikel!

Wie du in der zweiten Grafik sehen kannst, besteht der Thüringer Landtag aus 90 Sitzen. Eigentlich galt es als sehr wahrscheinlich, dass der bisherige Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) wieder zum Ministerpräsidenten gewählt wird. Ein Koalitionsvertrag zwischen Linken, SPD und Grünen war bereits ausgehandelt. Allerdings kamen diese drei Koalitions-Parteien alleine nur auf 42 Sitze. Um die Wahl zum Ministerpräsidenten im 1. oder 2. Wahlgang zu entscheiden, ist jedoch eine absolute Mehrheit nötig – in diesem Falle also 46 Stimmen. Bodo Ramelow war also noch auf vier Stimmen aus den anderen Fraktionen (also CDU, FDP und AFD) angewiesen. Einziger Gegenkandidat war ein Abgeordneter der AfD – Christopher Kindervater. Im ersten Wahlgang erhielt Ramelow 43 und im zweiten 44 Stimmen, die AfD hatte ihre 22 Stimmen geschlossen ihrem Kandidaten gegeben. Die Abgeordneten der FDP und CDU hatten sich bis auf 1-2 Ausnahmen enthalten. Da Ramelow also keine absolute Mehrheit erreicht hatte, musste es zum 3. Wahlgang kommen, in dem nun sogar eine relative Mehrheit reicht. Auf Deutsch: Der Kandidat mit den meisten Stimmen wird Ministerpräsident! Nun ließ sich aus dem Nichts auf einmal auch Thomas Kemmerich von der FDP als Kandidat aufstellen. Das Ergebnis: Kemmerich (FDP) bekam 45 Stimmen, Ramelow (Linke) 44 und Kindervater (AfD) 0. Huch, was war denn nun passiert?🤔 Die AfD hatte aus taktischen Gründen geschlossen für Kemmerich und nicht für ihren eigenen Kandidaten gestimmt, da klar war, dass dieser ohnehin keine Chance haben würde. Die Abgeordneten von FDP und CDU, die sich in den ersten Wahlgängen noch enthalten haben, stimmten ebenfalls fast geschlossen für Kemmerich.

Soweit so gut, warum aber nun dieser Aufschrei von allen Seiten? Merkel bezeichnet die Wahl als „unverzeihlichen Vorgang“, SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil spricht von einem „historischen Tiefpunkt der deutschen Nachkriegsgeschichte“, sogar zahlreiche FDP-Politiker*innen äußern offen ihr Beschämen über die Wahl. Dies sind nur wenige von zahlreichen empörten Reaktionen. Mehr Reaktionen zu der Wahl findet ihr hier:

Die Reaktionen auf Kemmerichs Wahl – „Ein bitterer Tag für die Demokratie“

Die Empörung ist vor allem deshalb so groß, weil FDP und CDU als demokratische Parteien mit ihren Stimmen wissentlich die Wahl eines Ministerpräsidenten gebilligt haben, der „von Gnaden der AfD“ gewählt wurde. Dass die AfD dieses taktische Spielchen spielen würde und gegen ihren eigenen Abgeordneten stimmen, falls sich ein anderer Kandidat aufstellt, war dabei keineswegs eine Überraschung, sondern sogar erwartet und ausdrücklich davor gewarnt worden. Da CDU und FDP alleine im Parlament nur auf 26 von 90 Stimmen kommen, ist auch klar, dass sie bei jeglichen zukünftigen Entscheidungen immer auch von den Stimmen der AfD-Abgeordneten abhängig wären. Die Thüringer AfD wird wiederum von Björn Höcke angeführt, der als einer der radikalsten Rechtsaußen der AfD gilt, bei dem selbst viele Politiker *innen nicht davor zurückschrecken, ihn offen heraus als Nazi zu bezeichnen. Warum viele das so klar sagen? In seinem Buch spricht er bspw. von einem „bevorstehenden Volkstod durch den Bevölkerungsaustausch“ und bezogen auf den Hitler-Faschismus von der „katastrophalen Niederlage von 1945“ und inszeniert sich zudem als Führer-Persönlichkeit. Zudem benutzt er immer wieder Worte und Sätze, die eindeutig an das NS-Vokabular erinnern und anspielen. Unter anderem aufgrund solcher Zitate darf Höcke sogar laut richterlichem Beschluss schon offiziell als Faschist bezeichnet werden. Die Wähler*innen werden von Höcke und der AfD immer wieder gezielt durch übertriebene Darstellungen, drastische Worte und auch bewusst falsche Darstellungen aufgehetzt, seriöse Medien und Berichterstattungen werden dagegen als „Lügenpresse“ bezeichnet. Somit werden in der Bevölkerung gezielt Ängste und Misstrauen geschürt, die nur eines zum Ziel haben: Das Vertrauen in die Demokratie zu erschüttern und den eigenen Einfluss zu stärken. Alles nur Quatsch von der Lügenpresse? Björn Höcke:

„Ein paar Korrekturen und Reförmchen werden nicht ausreichen. Aber die deutsche Unbedingtheit wird der Garant dafür sein, dass wir die Sache gründlich und grundsätzlich anpacken werden. Wenn einmal die Wendezeit gekommen ist, dann machen wir Deutschen keine halben Sachen. Dann werden die Schutthalden der Moderne beseitigt“. 

Den Rest kann sich jeder denken… Kurz nach dem 75. Gedenktag der Befreiung des KZ in Auschwitz ist es daher eine Ohrfeige für alle Opfer des Nationalsozialismus und ein fatales Signal, dass demokratische Parteien der AfD so viel Macht zubilligen und zulassen, dass diese sich nun als „Königsmacher“ feiern dürfen. Die CDU und die FDP haben sich damit zu Handlangern der AfD gemacht.

+++Update+++: Der Druck und die Empörung ist mittlerweile so groß geworden, dass Kemmerich bereits einen Tag nach der Wahl als Ministerpräsident zurückgetreten ist, obwohl er das noch am Wahlabend und auch am Morgen danach kategorisch ausgeschlossen hatte.

Falls du wissen willst, wie es nun in Thüringen weitergehen kann, klicke hier.

Und wenn du dir noch einen satirischen Beitrag zu dem Thema angucken möchtest, ist hier noch ein Beitrag der heute Show:

 

 

Immer weiter so? Was die Politik aus dem Rezo-Video lernen sollte

Sicher hast auch du es gesehen: Das Video „Die Zerstörung der CDU“ des Youtubers Rezo, welches kurz vor der Europawahl einschlug wie eine Bombe und in sämtlichen Zeitungen, Nachrichtenportalen, Talkshows sowie von vielen Jugendlichen, Youtuberinnen und Youtubern und Politikerinnen und Politikern heiß diskutiert wurde. Falls du es doch noch nicht gesehen haben solltest, hast  du die Gelegenheit, es hier nachzuholen – ist wirklich sehenswert.

Hier auch noch das anschließende „Statement“ von mehr als 90 YouTubern

Die mittlerweile deutlich mehr als  15 Millionen Klicks auf YouTube machen deutlich, dass Rezo mit seinem Video einen Nerv getroffen hat – und zwar vor allem den Nerv vieler junger Menschen, die die Nase gestrichen voll von dem Gefühl haben, dass sie und ihre Interessen von der Politik nicht ernst genommen werden. Die zahlreichen hochnäsigen und (vorsichtig formuliert) wenig wertschätzenden Reaktionen vieler Politikerinnen und Politiker wie bspw. der Tweet von FDP-Chef Christian Lindner  („Ich finde politisches Engagement von Schülerinnen und Schülern toll. Von Kindern und Jugendlichen kann man aber noch nicht erwarten, dass sie bereits alle globalen Zusammenhänge, das technisch Sinnvolle und das ökonomisch Machbare sehen. Das ist eine Sache für Profis“) verstärken dieses Gefühl junger Menschen noch zusätzlich. Passt diese Aussage bspw. zu Lindners Wahlplakat mit der Aufschrift „Schulranzen verändern die Welt. Nicht Aktenkoffer“ aus dem Bundestagswahlkampf 2017? Zweifelhaft…

Aussagen wie diese zeigen zudem, dass die Politik (immer noch) nicht verstanden hat: Die Jugend und ihren berechtigten Ärger nicht verstanden hat. Die digitale Welt nicht verstanden hat, dort planlos agiert und diese maßlos unterschätzt. Statt des von der CDU angekündigten Antwort-Videos mit dem erst 26-jährigen CDU-Abgeordneten Philipp Amthor veröffentlichte die CDU ein 11-seitiges PDF-Dokument.

Link zum PDF-Dokument

(Kleine Anekdote: Mir ist es erst nach zahlreichen Versuchen gelungen, bei bester Internet-Verbindung das nicht einmal 700kB große Dokument vom CDU-Server herunterzuladen. Sarkastische Frage: Seid ihr auf dem aktuellsten Stand der Technik, liebe CDU?)

Mal ganz ehrlich: Hast du dir die Mühe gemacht, dir dieses lange Dokument durchzulesen? Ja? Glückwunsch, dann gehörst du vermutlich zu den wenigen besonders interessierten Einzelexemplaren. Nein? Mehr als verständlich. Ein Antwort-Video hättest du dir wohl eher angeschaut, oder?

Glaubt die CDU denn ernsthaft, dass sie so im 21. Jahrhundert jungen Menschen auf ihre Anliegen antworten kann und sie somit erreicht? Für Ihre desolate Reaktion musste die CDU viel Häme einstecken. Hierfür ein Beispiel aus der heute Show (haben wahrscheinlich deutlich mehr junge Menschen gesehen als die Antwort der CDU):

Zwar steht in diesem Falle vor allem die CDU im Kreuzfeuer der Kritik, letztlich kann aber fast für alle etablierten politischen Parteien festgestellt werden, dass sie weder den Umgang mit sozialen Netzwerken beherrschen, noch jungen Menschen glaubhaft das Gefühl vermitteln können, ihre Interessen und Bedürfnisse ernst zu nehmen und sich für sie einzusetzen. Dies wird auch in folgendem Artikel der Welt deutlich:

Welt-Artikel „Nur eine Partei beherrscht das Netz wirklich“

Es wird Zeit, dass die etablierten Parteien ENDLICH daraus lernen, sich im digitalen Raum professioneller aufzustellen und authentischer aufzutreten. Einen nichtssagenden und sperrig formulierten Tweet in die Welt zu setzen, wie es aktuell bei vielen Politikerinnen und Politikern in Mode gekommen ist, nur um auf einer Social-Media-Plattform Präsenz zu zeigen, kann dabei nicht ausreichen. So lange die Politik das nicht begreift, gibt sie populistisch und antidemokratisch ausgerichteten Parteien wie der AfD in diesem Bereich einen unverantwortlichen Vorsprung, mit zwar inhaltsleeren Parolen, dafür aber technisch durchaus clever auf Wählerfang zu gehen. Wenn eine ganze Generation – egal, ob jung oder alt – zunehmend das Gefühl bekommt, von der Politik nicht ernst genommen, gehört und verstanden zu werden (ein weiteres Beispiel hierzu ist die Debatte um Artikel 13), ist das langfristig eine ernsthafte Gefahr für unsere so hart erkämpfte Demokratie. Zudem wollen die Jugendlichen und jungen Erwachsenen mehr Taten – vor allem im Bereich Klimaschutz – sehen und sind auch bereit, dies vehement einzufordern. Dies drückt sich aktuell vor allem in den Fridays for Future-Streiks aus. Auch ein Postengeschacher wie nach der Europawahl ist da wenig förderlich und führt zu einer noch größeren Politikverdrossenheit.

Es gilt für die Politik: Mehr handeln, anstatt immer nur darüber zu reden! Und: Die Interessen der jungen Menschen endlich ernster zu nehmen – auch wenn sie verhältnismäßig nur einen kleinen Teil der Wählerstimmen ausmacht. Sie sind die Zukunft dieses Landes und haben ein Recht darauf, ihre eigene Zukunft mitzugestalten!

Weitere Artikel und Links zu dem Thema:

Artikel FAZ „Er nervt, weil er muss“

Philipp Amthor vs. Kevin Kühnert über Rezo, Sozialismus, Wohnungsnot. Warum haben die jungen Wähler nicht das Gefühl, bei Volksparteien richtig aufgehoben zu sein?
Mr.Wissen2go zu der Frage, warum die Interessen der jungen Generation(en) von der Politik häufig so vernachlässigt werden
Wenn du wissen möchtest, welche Auswirkungen das Rezo-Video auf den Ausgang der Europawahl hatte, schau dir dieses Video an

„Was ist da eigentlich los in der EU“? oder „Wofür sind wir eigentlich wählen gegangen“?

In deiner Heimatstadt wird alle 5 Jahre ein kleines Zelt mitten auf dem Marktplatz aufgebaut. Du hast davon gehört, dass dort wohl etwas entschieden wird. Eigentlich hast du gar nicht so große Lust, dorthin zu gehen, da du nicht das Gefühl hast, wirklich etwas zu verpassen. Du weißt, dass in der Vergangenheit auch von deinen Freunden nur relativ wenige dorthin gegangen sind. Doch dieses Jahr ist es anders. An jeder Ecke wird darüber geredet, wie wichtig es ist, dorthin zu kommen. Auch in deinem Freundeskreis. Auf dem Heimweg von einem Kumpel kommst du an einer der zahlreichen Werbesäulen vorbei, auf dem dir ein Plakat mit dem überdimensional großen Gesicht eines Mannes mit einer Glatze ins Auge fällt. Darauf steht: Neuer Fußballplatz oder neue Turnhalle? Wenn du kicken willst, komm am 26. Mai vorbei und stimme für mich, ich (Benjamin Ball) setze mich dafür ein. Als du weiter gehst, siehst du an der nächsten Ecke ein Plakat mit dem Gesicht eines anderen Mannes. Dort steht: Wenn du turnen möchtest, komm am 26. Mai vorbei und stimme für mich (Rudolf Reck). Du siehst zwar auf anderen Plakaten auch noch ein paar andere Gesichter, die etwas anderes bauen wollen als die beiden, aber im Prinzip reden die Leute fast nur über Benjamin Ball und Rudolf Reck. Du entschließt dich, über deinen Schatten zu springen und hinzugehen. Tatsächlich sind viel mehr Leute gekommen als vor 5 Jahren. Es gibt eine Abstimmung, Benjamin Ball bekommt die meisten Stimmen. Dann kommt eine Frau namens Fridola Fragezeichen auf die Bühne, die du vorher noch auf keinem der Plakate gesehen hast. Du fragst dich: Was macht die da? Wo sind Rudolf Reck und Benjamin Ball? Es gibt eine Durchsage: „Danke, dass ihr gekommen seid und gewählt habt, aber die Organisator*innen konnten sich weder auf Benjamin Ball noch auf Rudolf Reck einigen. Wir entscheiden uns jetzt für Fridola Fragezeichen, die ist super“. Die Menschen in der Menge gucken sich verdutzt an. Du fragst dich, warum du überhaupt gekommen bist. Du scheinst nicht der Einzige zu sein, der sich diese Frage stellt…

So oder so ähnlich geht es aktuell vielen Menschen, die am 26. Mai 2019 zur Europawahl gegangen sind. Im Vorfeld der Wahl ging es eigentlich immer um die Frage, ob Frans Timmermans, der Spitzenkandidat der Sozialdemokraten oder Manfred Weber, der Spitzenkandidat der Konservativen, Präsident der europäischen Kommission wird. Gut sieben Wochen nach der Wahl ist nun klar: Es wird keiner von beiden, obwohl die Fraktion um Manfred Weber die stärkste im Europäischen Parlament ist. Stattdessen soll nun auf einmal Ursula von der Leyen (aktuell Verteidigungsministerin der Bundesrepublik Deutschland) Kommissionspräsidentin werden. Doch wie ist das überhaupt möglich, obwohl sie vorher gar nicht als Spitzenkandidatin zur Wahl stand?

Zunächst muss man dazu wissen, dass wir Europäer*innen die Zusammensetzung des Europäischen Parlaments, gewissermaßen den europäischen Bundestag, gewählt haben.

Nähere Infos zu der neuen Zusammensetzung des Europäischen Parlaments nach der Europawahl bekommt ihr in folgendem Video:

Nähere Infos zur Wahl bekommt ihr hier:

Dieses von uns Europäer*innen am 26. Mai 2019 gewählte Parlament wählt wiederum den Kommissionspräsidenten bzw. die Kommissionspräsidentin (also gewissermaßen den EU-Regierungschef), der wiederum erst von den 28 Regierungschefs der EU-Mitgliedsländer, die den Europäischen Rat bilden, vorgeschlagen wird. Dies ist eigentlich immer einer der Spitzenkandidaten der beiden stärksten Fraktionen des Parlaments – in diesem Fall wäre das also entweder der Deutsche Manfred Weber von den Konservativen (stärkste Fraktion) oder der Niederländer Frans Timmermans von den Sozialdemokraten (zweitstärkste Fraktion) gewesen. Der Europäische Rat konnte sich jedoch auch nach tage- und nächtelangen Verhandlungen nicht auf einen der beiden Spitzenkandidaten einigen. Frans Timmermans wurde bspw. von Polen, Ungarn, der Slowakei und Tschechien nicht mitgetragen. Ursula von der Leyen wurde hingegen abgesehen von der Enthaltung Deutschlands letztlich von allen europäischen Staats- und Regierungschefs nominiert.

Die SPD hat allerdings bereits angekündigt, die Nominierung nicht mitzutragen, da sie nicht als Spitzenkandidatin aufgestellt war.  Dies könnte wiederum auch Auswirkungen auf die deutsche große Koalition haben, welche an diesem Streit sogar zerbrechen könnte. Dies waren die Reaktionen auf die Nominierung von Ursula von der Leyen:

Tagesschau-Video „Reaktionen auf die Nominierung von Ursula von der Leyen“

Reaktionen auf die Nominierung von der Leyens ab 2:27 min.:

Wenn es allein  um die Eignung von Ursula von der Leyen als Kommissionspräsidentin geht, sind sich die meisten Politikwissenschaftler*innen und Expert*innen weitestgehend einig, dass von der Leyen eine gute Wahl wäre.  Positiv werden ihr dabei vor allem ihre Regierungserfahrung, ihre exzellenten Sprachkenntnisse (spicht fließend Englisch und Französisch) sowie ihre körperliche Fitness angerechnet. Zudem gilt sie als „Europäerin von ganzem Herzen“ und ist, da sie als Verteidigungsministerin der Bundesrepublik bereits viel in Brüssel ist, bereits in vielen wichtigen europäischen Themen drin. Dennoch ist das Signal, keine der gehandelten Spitzenkandidaten für das Amt des EU-Kommissionspräsidenten bzw. der EU-Kommissionspräsidentin zu nominieren, ein gefährliches  für die Demokratie und die dieses Jahr so hohe Wahlbeteiligung. Es vermittelt zahlreichen Wählinnen und Wählern Gefühl: „Was wir wählen, ist egal, die machen eh, was sie wollen“. Es begünstigt somit Politikverdrossenheit bzw. Partei- und Politikerverdrossenheit, welche nicht zuletzt in dem viel diskutierten Rezo-Video zum Ausdruck gebracht wurde. Bei all dem Ärger vergessen jedoch viele, dass sie durch die Wahl des Europäischen Parlaments dennoch maßgeblich mitentschieden haben, wie die Zukunft Europas aussehen soll und es auch in Zukunft nicht weniger wichtig sein wird, bei Wahlen seine Stimme abzugeben.

 

Falls ihr wissen wollt, was passiert,  wenn auch Ursula von der Leyen nicht vom Europäischen Parlament gewählt wird:

und

Tagesschau-Artikel „Eine Wahl mit Folgen“

Weitere Links und Artikel zu dem Thema:

Politikwissenschaftler Prof. Volker Kronenberg zur Eignung der Personalie von der Leyen (ab 2:20 min.)

Tagesschau-Artikel (mit Video) „Mehrheit sieht von der Leyen kritisch“

Zeit-Artikel über die neue Zusammensetzung des Europäischen Parlaments : „Die neuen Farben Europas“. Welche Fraktionen vertreten die Bürger*innen im neuen Europäischen Parlament? Wir zeigen die Wahlergebnisse aus fast 80.000 Regionen.

Tagesspiegel-Artikel aus dem Prozess zur Nominierung der Kommissionspräsidentin durch die 28 Staats- und Regierungschefs

FOCUS-Artikel zur Problematik des EU-Postenpokers

+++ Nachtrag +++: Wie ihr mit Sicherheit schon mitbekommen habt, ist Ursula von der Leyen zwischenzeitlich tatsächlich zur Präsidentin der Europäischen Kommission gewählt worden (am 16. Juni 2019) und ist seit 01. Dezember 2019 als Nachfolgerin des Luxemburgers Jean-Claude Juncker im Amt.