Ich war für euch live vor Ort auf dem Sommerkongress von Fridays For Future in Dortmund (31.07.-04.08.2019) und habe mir für euch angeschaut, was da so abging. Die eingefangenen Eindrücke (darunter auch viele Bilder und Videos) habe ich hier für euch zusammengefasst:
Für die Durchreisenden hier kurz und knackig die Facts2go zum Sommerkongress:
+++ Es wurde extra eine WG zur Organisation in Dortmund gegründet – mit durchgehend 10-30 Schüler*innen und Student*innen
+++ Auf der 5-tägigen Veranstaltung gab es u.a. 6 Podiumsdiskussionen, über 150 Workshops, Vernetzungstreffen und eine Groß-Demo mit über 20 Einzelaktionen in der Dortmunder Innenstadt
+++ Es haben rund 1.500 Schüler*innen und Student*innen an dem Sommerkongress teilgenommen (anmelden konnten sich Schüler*innen und Student*innen bis 28 Jahre).
+++ Der Teilnehmenden-Beitrag wurde solidarisch verteilt (jeder nach seinen Möglichkeiten)
+++ Die Teilnehmer*innen übernachteten in Zelten (47 Großzelte und etliche Kleinzelte) auf dem Kongressgelände
+++ Der Kongress fand IN DEN SCHULFERIEN statt
+++ Der Kongress wurde KLIMANEUTRAL organisiert
+++ Rund 100 Schüler*innen und Student*innen halfen auf dem Sommerkongress und sorgten für einen reibungslosen Ablauf der Veranstaltung
+++ Die Ziele des Sommerkongresses: Bildung zum Thema Klimakrise/Klimapolitik, sich untereinander kennenlernen, Strategien entwickeln, Vorbereitung auf den Generalstreik am 20.09. mit ALLEN (nicht nur Schüler*innen und Student*innen)
Für die Fleißigen hier der ausführliche Bericht zum Sommerkongress und den Hintergründen:
Es ist Donnerstag, der 1. August 2019, 13:45 Uhr. Ich betrete den Revierpark Wischlingen, den Ort, an dem gerade der Sommerkongress von Fridays For Future stattfindet. Der Sommerkongress ist bereits seit gestern am Laufen, doch da gestern „nur“ das Arrivalprogramm stattfand, komme ich erst heute an, werde dafür aber die kommenden drei Tage des Sommerkongresses begleiten. Ich habe Zeitdruck, denn die Bahn hatte – Überraschung – Verspätung und die ersten Podiumsdiskussionen und Workshops fangen um 14 Uhr an. Ich muss mich noch im Pressezelt akkreditieren, habe noch keinen Workshop-Plan und muss mich noch auf dem Gelände orientieren – ich habe Zweifel, ob ich das schaffe. Ich schaue etwas fragend auf einen Lageplan, der mir vorab zugeschickt wurde, doch sofort spricht mich eine junge Dame an und fragt, ob sie mir helfen könne. Sie zeigt mir den Weg zum Pressezelt, wo mich ein Team von Organisator*innen empfängt, mich in wenigen Sekunden akkreditiert, mir den Workshop-Plan zeigt und klar strukturiert die wichtigsten Infos in 2 Minuten erklärt. Absolut reibungslos! Ich habe es geschafft, ich bin pünktlich. Ich entscheide mich für die Podiumsdiskussion „Klimaschutz – alles Aufgabe der Politik?“ Gäste sind u.a. Pia Jorks, Vorsitzende von Klimadelegation e.V. und Vertreterin einer Jugenddelegation bei den letzten Klimakonferenzen der Vereinten Nationen sowie die Umweltaktivistin Indigo, die durch die Besetzung des Hambacher Forsts im letzten Jahr bekannt geworden ist und die Verkehrsforscherin Anne Klein-Hitpaß von der Agora Verkehrswende. Bereits zu Beginn wird bei der Frage, ob Klimaschutz eher Aufgabe der Politik oder Aufgabe jedes Einzelnen sei, deutlich, dass beide Sichtweisen bei Fridays For Future vertreten sind:
Verkehrsforscherin Anne Klein-Hitpaß bezeichnet den Klimaschutz dabei als „klassische Aufgabe der Politik“. In der Diskussion und auf der ganzen Veranstaltung wird deutlich: Ein Schwarz-Weiß-Denken im Sinne von entweder/oder gibt es hier nicht. Es geht nicht darum, nur mit dem Finger auf die Politik zu zeigen. Nein, man will auch mit gutem Beispiel voran gehen – und das tut man auch. Der Kongress ist klimaneutral organisiert: Die mobilen Toiletten sind mit Sägespänen statt mit Chemie gefüllt, Papiertücher für die Hände sucht man selbst auf den Toiletten in den Gebäuden vergeblich. Stattdessen sind Handtücher ausgelegt. Am Kiosk werden ausschließlich (meist regionale) Bio-Produkte verkauft, für die es keine Festpreise, sondern lediglich Preisempfehlungen gibt. Jede/r kann nach seinen Möglichkeiten entscheiden, was er für die Produkte zahlen möchte. Die Essensversorgung ist ausschließlich vegan. Die benötigten unverpackten Lebensmittel sind dabei teilweise gekauft, teilweise gespendet und teilweise vor dem Wegwerfen gerettet. Auf Plastik wird verzichtet, wo immer es irgendwie möglich ist. Generell sucht man herumliegenden Müll auf dem Kongressgelände vergeblich. Sein Besteck wäscht jeder selber in eingerichteten Spül-Stationen mit Wasserkanistern zur Vorwäsche, Hauptwäsche und Nachwäsche. Anregungen zu ökologisch sinnvollen Alternativen, über die man vielleicht noch nie in seinem Leben nachgedacht hat, bekommt man quasi „to go“ an jeder Ecke. Apropos „to go“: Seinen Cappuccino mit Hafermilch bekommt man hier gegen Pfand in sogenannten „Recups“ unter dem Credo „return. reuse. recycle“.

Aber zurück zur Podiumsdiskussion: Nach einer intensiven Diskussion haben die Teilnehmer*innen die Möglichkeit, ihre ganz persönlichen Fragen an die Podiums-Redner*innen zu stellen. So geht es bspw. noch um die Fragen, inwiefern Flugreisen von FFF-Vertreter*innen zu UN-Klimakonferenzen legitim wären oder inwiefern die Erreichung des 1,5 Grad-Ziels aus dem Pariser Klimaabkommen noch realistisch ist:
Die Ergebnisse der Podiumsdiskussionen werden dabei von Profi-Grafikern simultan visualisiert (auch graphic recording genannt), also während der Veranstaltung auf einer großen Leinwand festgehalten. Das sieht in diesem Falle dann so aus:
Nach der Podiumsdiskussion geht es für mich weiter zur Aktionsvorbereitung auf der großen Freilichtbühne, denn am morgigen Freitag ist eine koordinierte Demo durch die Dortmunder Innenstadt mit allen Kongressteilnehmer*innen geplant. Ich erfahre, dass neben der gemeinsamen Groß-Demo auch noch 20 Kleingruppen-Aktionen vor verschiedenen Unternehmen in der Stadt geplant sind – darunter beispielsweise DM, Decathlon, Karstadt und einige Banken. Als die Gruppenaktionen vorgestellt werden, wird klar, dass hier nicht an Kreativität gespart wurde. Vor einer Bank soll bspw. mitten auf dem Asphalt Blumenerde aufgeschüttet und etliche Blumen gepflanzt werden – gespendet von Blumenläden, die die Blumen sonst ohnehin weggeworfen hätten.
Freitag, 9 Uhr am Hauptbahnhof Dortmund. Vor der Kulisse des deutschen Fußball-Museums sitzen bereits hunderte Kongress-Teilnehmer*innen mit unzähligen Fahnen und Plakaten auf dem Bahnhofsvorplatz. Immer wieder stimmt eine/r der Gruppe eine der zahlreichen Parolen an, der Rest brüllt es aus voller Kehle nach. „Kohlekonzerne baggern in der Ferne, zerstören uns’re Umwelt – nur für ein Batzen Geld“. Aus dem Bahnhofseingang strömen immer wieder weitere FFFler und schließen sich der immer größer werdenden Gruppe an, denn die Kongressteilnehmer mussten sich aufgrund der hohen Personenanzahl auf mehrere S-Bahnen aufteilen. Als der letzte Schub aus dem Haupteingang herausströmt, erhebt sich plötzlich die Gruppe, läuft den anderen entgegen und setzt sich an einer Fußgängerampel mitten auf die große Straße. Es kommt zum Sitzstreik. Spontan und ungeplant, wie sich herausstellt. Der Startschuss! „Gib mir ein S. Gib mir ein U. Gib mir ein V. Was ist das? – SCHEIßE!“. Schnell werden die ersten Autofahrer*innen unruhig, doch die Aktion dauert auch nur rund eine Minute. Dann setzt sich die Menge Richtung Innenstadt in Bewegung. „What do we want? – CLIMATE JUSTICE! When do we want it? – NOW!”. Nach einem Marsch von ca. 10 Minuten versammelt sich der Protestmarsch vor der St. Petri-Kirche. Begleitet von weiteren Parolen heizt die Musik-Gruppe Brass Riot mit Schlagzeuger und Saxophon den jungen Protestler*innen ordentlich ein und sorgt für ein regelrechtes Stimmungshoch.
Mitten in dieses Stimmungshoch mischt sich jedoch auch eine vehemente Gegenstimme. Ein älterer Herr läuft aufgebracht und wild gestikulierend durch die Menge und brüllt : „Das hatten wir 1970 auch schon. So ein Unsinn!“. Die Demo-Teilnehmer*innen bleiben jedoch cool, sagen Dinge wie „Darüber gibt es unterschiedliche Ansichten“ oder „das ist Ihre Meinung, die Wissenschaft sieht das anders“ und setzen ihren Demo-Zug unbeirrt fort. Mit „Lauti“, wie die Demontrant*innen ihren Lautsprecher-Wagen nennen, geht es mit Liedern wie „Fäuste hoch“ von Irie Révolté oder „Wind of change“ von den Scorpions durch die Dortmunder Innenstadt, über eine abgesperrte, viel befahrene Straße bis hin zu einem Platz, an dem sich die Gruppe noch einmal versammelt.
Es gibt Reden und Plädoyers von FFFler*innen, aber auch eine Vertreterin von Scientists for Future – Laura Herzog, Politikwissenschaftlerin mit dem Fokus auf Umweltpolitik und Wassermanagement – hält eine Rede, in der sie wissenschaftliche Fakten präsentiert und ihren Dank an die Bewegung zum Ausdruck bringt: „Was ihr bewegt und möglich macht und was ihr in so vielen Ländern angestoßen habt, ist phenomenal und verdient unser aller Respekt und Bewunderung“. Die Organisation des Sommerkongresses sei zudem „absolut genial und großartig“. Nach den Reden finden sich die Kleingruppen zusammen, die am Vortag ihre jeweiligen Aktionen geplant haben und teilen sich in sogenannten „Tentakeln“ in alle möglichen Himmelsrichtungen auf, um vor den verschiedensten Unternehmen ihre Aktionen durchzuführen. Ich begleite zuerst die „Fisch“-Aktion im DM und anschließend die „Fahrrad“-Aktion vor dem Decathlon.
Nach insgesamt über drei Stunden ist die Demo dann vorbei. Schnell wieder hoch auf’s Kongressgelände in der viel zu überfüllten U-Bahn, schnell auf dem Weg was gegessen und weiter geht’s mit den nächsten Workshop-Angeboten und Podiumsdiskussionen. Ich besuche die Podiumsdiskussion „We Spoke! Act Now!“, in der die Forderungen von Fridays For Future noch einmal thematisiert und diskutiert werden und führe danach noch ein Interview mit Sascha Grieme, dem ehemaligen Ortsgruppenleiter von Mainz, der auch bereits an einem runden Tisch mit Vertretern von Fridays For Future und Bundestagsabgeordneten der fünf Fraktionen teilgenommen hat. Sascha Grieme ist bereits seit den Anfängen von Fridays For Future dabei und hat auch schon auf einer Diskussion zwischen Vertreter*innen der Fraktionen des Bundestages sowie Vertreter*innen von Fridays For Future teilgenommen. Sebastians Eindruck von der Diskussion? „Ich denke, es ist noch einmal dramatisch klar geworden, dass keine Partei ein Konzept hat, das 1,5 Grad-Ziel einzuhalten. Dass es zwar Unterschiede zwischen den Parteien gibt, dass sie aber massiv nachschärfen müssen, um eine Politik machen zu können, die auch nur ansatzweise mit einer Politik vereinbar ist, die sie uns versprochen haben. Das Bild, das ich derzeit gerade von den großen Parteien habe, ist, dass sich viele Politiker*innen nicht mit dem Thema Klima auseinandergesetzt haben, dass viele Politiker*innen keine Ahnung haben, wie groß die Bedrohung ist und dass viele Politiker*innen keine Ahnung haben, wie sie darauf reagieren sollten. Das ist inakzeptabel, weil es das größte Problem unserer Zeit ist und da sollte jetzt mit Höchstdruck dran gearbeitet werden – und zwar am 1,5-Grad-Ziel und nicht an irgendwelchen Symbol-Maßnahmen“. Wer sich selbst einen Eindruck von der Diskussion machen möchte, die auch von Phoenix live übertragen wurde, findet hier den Link:
Samstag, 03.08. Es ist bereits der dritte und letzte Tag, an dem ich den Sommerkongress begleite – auch wenn der Kongress noch bis Sonntag geht. Wie auch in den vergangenen beiden Tagen ist ab 9 Uhr morgens der Tag wieder voll mit Programm: Neben drei Workshop-Phasen (insgesamt werden auf dem Sommerkongress über 150 Workshops zu verschiedensten Themen rund um die Themen Ökologie und Klimaschutz, aber auch Argumentationstrainings, Social Media-Trainings o.ä. angeboten) gibt es weitere drei Podiums-Diskussionen sowie Vernetzungstreffen, bei denen sich die FFF-Vertreter*innen aus den verschiedenen Bundesländern kennenlernen, koordinieren und austauschen können. Ich besuche u.a. den Workshop „Klimawandel und Ernährung“, an dem knapp 30 junge FFFler*innen teilnehmen, erfahre bei einer Geländeführung interessante Details über die Planung und Finanzierung des Kongresses, sehe den (auch am dritten Kongresstag noch auffallend sauberen) Zeltplatz, auf dem die 1.500 Kongressteilnehmer*innen schlafen, spreche noch mit einigen Kongressteilnehmer*innen und führe ein Interview mit einem der Hauptorganisator*innen des Sommerkongresses, Jakob Blasel. Dabei erfahre ich u.a., dass die jungen Organisator*innen extra für die Organisation des Sommerkongresses eine WG gegründet haben, in der konstant 10-30 Organisator*innen und Helfer*innen über zwei Monate hinweg rund um die Uhr den Kongress geplant haben. Zum kompletten Interview geht es hier (Kleiner Spoiler: Ist sehr interessant und lesenswert ;)).
Danach ist der Sommerkongress für mich persönlich beendet, auch wenn der Kongress noch bis Sonntagabend geht, denn mein Zug zurück nach Mainz fährt bereits heute Abend!
Mein Fazit: Obwohl ich nur 3 der 5 Tage des Sommerkongresses miterlebt habe, kann ich sagen: Ich bin platt – platt von den vielen Eindrücken, platt von den vielen Programmpunkten, dem vielen Hin- und Her-Gelaufe, den viel zu kurzen Mittagspausen, in denen ich aus Angst, etwas Interessantes zu verpassen fast immer nur auf dem Weg zum nächsten Programmpunkt gegessen habe, platt von dem vielen Input. Zudem bin ich beeindruckt – beeindruckt von dem reibungslosen Ablauf der Veranstaltung, beeindruckt von der perfekten Organisation und Kommunikation der Organisator*innen untereinander, beeindruckt von so viel Engagement junger Menschen für ihre (und unser aller) Zukunft in ihren Schul- oder Semesterferien. Meine Sommerferien sahen zu meiner Schulzeit entspannter aus. Doch hier macht eine Generation klar und unmissverständlich deutlich, dass es ihr ernst ist und sie bereit ist, für ihre Zukunft und ein Umdenken in der Gesellschaft und in der Politik zu kämpfen – sei es in oder außerhalb der Ferien. Denn hier ist das Motto: „Sommerkongress statt Urlaub auf Malle“.
Übrigens: Demnächst wird es bei PB2go auch noch mehr Infos, Artikel und Videos zu den Themen Ökologie, Fairer Handel, Nachhaltigkeit und Fridays For Future geben. Falls euch dort ein Thema besonders interessiert oder ihr etwas nicht ganz versteht, schreibt mir gerne eine Mail an s.ruppert@arbeit-und-leben.de. Ich gehe gerne auf eure Wünsche ein! Das Gleiche gilt natürlich auch für andere Themen, die euch auf dem Herzen liegen!